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Erfahrungsbericht von Familie Thaidigsmann aus Lindenfels

Bei der heute zwanzigjährigen Sophie-Hope Thaidigsmann wurde das hochfunktionale Asperger-Syndrom im Jahr 2018 festgestellt. Sie ist kognitiv nicht eingeschränkt, hat aber Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion und Kommunikation. Sophie-Hope hat eine gute Prognose, dass sie ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben führen kann. Sie absolviert gerade eine Ausbildung zur Sozialassistentin auf dem ersten Arbeitsmarkt, erzählt ihre Mutter Petra Thaidigsmann.

 

Im praktischen Teil der Ausbildung erarbeitete sie in der Wohnbetreuung ein Yoga-Projekt mit zwei Menschen mit Down-Syndrom. Sie möchte sich weiter in diesem Arbeitsbereich qualifizieren und beginnt daher im Sommer eine Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin. Erst kürzlich hielt sie ein Referat über „Kommunikation von Asperger-Autisten“. Die Hausarbeit wurde nicht nur sehr gut benotet, sie dient künftig als Lehrmaterial für die nächsten Klassen. Die Schule mache ihr Spaß, resümiert Sophie-Hope.

 

Das war aber nicht immer so. In einem Fachbuch ist zu lesen, dass „viele Mädchen und Frauen mit Autismus still vor sich hin leiden. Sie fragten sich oft jahrelang nach dem Grund ihres Andersseins.* Auch heute noch wird jemand (vor)schnell als „seltsam“ oder „eigen“ abgestempelt, dazu komme es besonders während der Schulzeit häufig zu Ausgrenzungen, Schwierigkeiten im Umgang mit Mitschülern und Lehrern, Demütigungen und Verletzungen, klärt der Verein Wir DABEI! auf.

 

Ähnliche Erfahrungen sammelte auch Familie Thaidigsmann. Im Rückblick stellen Mutter und Tochter Thaidigsmann unisono fest, dass die Kindergartenzeit okay war. Dagegen sei besonders die Zeit in der Grundschule aber auch der weiterführenden Schule schwierig gewesen.

 

Jahrelang Zeit wusste Familie Thaidigsmann nicht, warum Sophie-Hope „anders“ ist. „Mit der Diagnose konnten wir es endlich benennen“, erzählt Petra Thaidigsmann. „Den Begriff Schwerbehinderung will niemand hören, der gerade mal 18 Jahre alt ist“, betont die Mutter auch aus ihrer Erfahrung als Beraterin. Mit der Diagnose und der Feststellung eines Pflegegrads waren Therapiemöglichkeiten, Förderung, Teilhabe und Nachteilsausgleiche überhaupt erst möglich.

 

In der Beratung erfährt Petra Thaidigsmann immer wieder von Scham und Schuldgefühlen bei manchen Eltern. Am Anfang einer Beratung sei es oftmals für Betroffene und Angehörige schwierig, wenn das Wort „Behinderung“ im Zusammenhang mit Autismus falle. „Niemand muss sich für eine Behinderung schämen, vor allem sucht sich niemand eine Behinderung aus“, klärt Petra Thaidigsmann auf. Sie rät aus ihrer Erfahrung als EUTB-Projektleiterin und als Mutter dazu, sich mit der Behinderung auszusöhnen, denn „eine Autismus-Spektrum-Störung wie das Asperger-Syndrom geht niemals weg“.

 

Im Gegensatz dazu berichten etliche Betroffene und ihre Familien, „alle paar Monate gefragt zu werden, ob die Krankheit nun auskuriert sei“, kritisiert Petra Thaidigsmann aus eigener Erfahrung und aus der EUTB Bergstraße Beratungsstelle Birkenau. Doch zusätzlicher Schriftverkehr und Behördengänge belasten die Familien noch mehr. Sie wünscht sich daher „für die Zukunft mehr Empathie und Sachverstand in Politik und Verwaltung“.

 

Frau Thaidigsmann rät Betroffenen, offen mit ihrem Autismus umzugehen. Unterstützung erhält sie von ihrer Tochter Sophie-Hope, die letztes Jahr den Mut aufbrachte, ihre Behinderung bei einer Plakataktion des Vereins Wir DABEI! anlässlich des Welt-Autismus-Tags 2021 öffentlich zu machen.

 

„Es war definitiv die richtige Entscheidung“, resümiert die Zwanzigjährige nach einem Jahr. „Die Reaktionen waren fast ausnahmslos positiv. Viele haben uns als Familie angesprochen. Es hat allen, auch der Familie gutgetan, zumal in einer kleinen Gemeinde wie Lindenfels vorher immer mal wieder über Sophie-Hopes „anders sein“ geredet wurde, Erziehungsratschläge gegeben oder nicht angebrachte Vergleiche mit Zwillingsschwester Anna gezogen wurden“, ergänzt die Mutter.

 

Im Gegensatz zu anderen Jugendlichen litt Sophie-Hope nicht unter Pandemiebedingungen wie Lock-Down, Home-Schooling sowie eingeschränkten Freizeitaktivitäten und sozialen Kontakten. Zuweilen fühlte sie sich mit weniger Kontakt zur Außenwelt sogar ganz wohl. Der Grund liegt im Autismus selbst begründet, denn viele Betroffene seien einsam, haben nur wenige oder keine Freunde, schildert Petra Thaidigsmann. „Doch dank Zwillingsschwester Anna befindet sich Sophie-Hope auch in einem echten sozialen Netz. Zwar geht die junge Frau mit Asperger-Syndrom abends nicht im klassischen Sinn aus wie andere 18- bis 25-Jährige. Doch gelegentlich begleitet sie Anna und ihren Freundeskreis etwa in ein Bistro. Dann ist immer sichergestellt, dass sich Sophie-Hope jederzeit zurückziehen kann, wenn es ihr zu viel wird und sie immer sicher nach Hause kommt.“

 

„Heute stand der Asperger im Weg“, gesteht sich Sophie-Hope an einen schlechten Tag ein. Zum Ausgleich geht sie zu ihrem Pferd Stjarni, einem Isländer. Nach ein paar Stunden im Reitstall ist die Welt dann wieder in Ordnung. Pferde sind Sophie-Hopes Spezialinteresse, mit vier Jahren begann sie zu Voltigieren, seit ihrem achten Lebensjahr reitet sie.

 

*  Preißmann, Christine: Überraschend anders – Mädchen & Frauen mit Asperger, Stuttgart 2013, S. 12.

 

Bild zur Meldung: Auf dem Foto sieht man Sophie Thaidigsmann neben ihrem braun/weiß geschecktem Pony Stjarni.

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